
meine liebe,kleine,süße josephine,
ma chere magnifique!
ich lese deine zeilen, die mich knapp vor meiner abreise nach dem wendekreis des krebses erreichen. der postbote hatte redlich mühsal, deine depesche zu überbringen, hatte doch sein motorrad eine panne am vergaser
und nur dem besonderen glücke,daß der herr städtische oberamtsdirektor in seinem ford taunus des weges kam,ist zuzuschreiben, daß dein telegramm in meinen postkasten finden konnte.
die komplexität deiner gedanken legt mir nahe,
nicht implicite verbis darauf einzugehn,
ich würde mich großer sicherheit manches,
was dir bedeutsam ist,
verfehlen mit dem läßlichen ausgleiche,
eher ephemeres mit unangemessen großem gewichte
darzustellen.
in nuce daher dazu,
wobei ein tete-a-tete nach meiner rückkunft oraliter allfällig offen bleibendes klären wird sollen,
ma chere josephine:
unser beider geschichte der letzten bald drei jahre
als eine beziehung im engeren wortsinne zu sehn,
erfordert ein nahezu übermenschliches maß an poesie
oder eine halsbrecherische form von phantasie:
wir haben in dieser unserer 2zeit
an die zehn nächte miteinander umgang gehalten mit leib und seel
und der tage warens in etwa gleich viele.
als wir einander in der telegraphiestation des bahnhofes von
venzone kennengelernt hatten, ergriff uns eine jähe, wie ein blitz aus heiterem himmel über unser beiden seelen herfallende betrunkenheit aneinander.
weißt du noch,
wie ich,
als sei ich nur mehr ein geisthaftes gewebe aus begehren und zugespitztem vermögen, an dich geriet in der zweiten nacht,in der
ersten war ich heimgereist mit dem nachtzug nach R?
weißt du noch,
wie du deinen kopf an meine schulter gelegt
in den weinbergen,
voll süßer vorahnung auf das erste ineinanderfließen,
dir selbst im geheimen gelobtest,
niemals mehr wolltest du von mir,
julien roquefort aus villiers,
ablassen bis an jeglicher tage ende?
und als vor doch schon geraumer zeit
eine dunkle bresthaftigkeit mich anfiel,
zuerst dem geiste nach,
dann überschießend auch auf den leib übergreifend,
als ich dich inständig bat,
du mögest mich,
julien roquefort aus vielliers,
aus dem horizont deiner beziehungsdinge entlassen,
mich ziehn lassen gegen den rand der schatten zu,
allein,
auf mich gestellt,
mit nichts als gottvertrauen und einem brüchigen nachen?
deine liebe konnte meiner bitte nicht genüge tun.
tu es um gottes und marien gottesmutters name jetzt,
josephine.
es ist keine zeit mehr für worte.
worte sind dinge für lebende mit einer lebensonne im zenith.
ich bin ein sinkender stern,
einem dunklen meere zu,
einer verschlingenden, blauen tiefe,
die mir bald schon heimat sein wird
bis
zur trompete von jericho.
ermächtige deine liebe,
josephine,
mich freizugeben,
laß mich ziehn.
vielleicht gibt es einen tag,
an dem
ich
vom andern ufer her
die arme ausbreite,
dich zu erwarten,
deine tränen zu trocknen,
dich zu herzen,
zu kosen
und
zu halten
von einer ewigkeit zur anderen.
julien
zwei tage später,
per eildepesche aus bari
re_quiem - 2. Jan, 21:38